Schwieriges Erbe: Wie Familien mit der NS-Täterschaft ihrer Eltern und Großeltern umgehen

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Auf dem Podium (v.l.n.r.): Peter Pogany-Wnendt, Alexandra Senfft und Dr. Oliver von Wrochem (Foto: Mareike Gröneweg)

Eine komplexe Thematik

Mitten in der Dauerausstellung stehen Stühle in Sitzreihen, sie sind bis auf den letzten Platz vergriffen. Das Interesse an der Mischung aus Podiumsdiskussion und Lesung im NS DOK ist groß, auch wenn das Thema hochkomplex und emotional zugleich ist. „Die Nazis haben aus unseren Eltern und Großeltern Feinde gemacht“, stellt Peter Pogany-Wnendt bei seiner Eingangsmoderation fest. Als Nachkomme einer verfolgten Familie habe er sich die Teilnahme an einer Veranstaltung wie dieser vor einigen Jahren noch nicht vorstellen können. Mittlerweile ist er Vorsitzender des Arbeitskreises für Intergenerationelle Folgen des Holocaust und setzt sich stark für den Austausch zwischen unterschiedlich NS-geprägten Familien ein.

Kriegskinder und Kriegsenkel

Der stellvertretende Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Dr. Oliver von Wrochem, las an dem Abend auch aus dem von ihm herausgegebenen Sammelband „Nationalsozialistische Täterschaften. Nachwirkungen in Gesellschaft und Familie“. Darin wird einerseits ein Überblick über den internationalen Forschungsstand geliefert, andererseits kommen Personen zu Wort, die von ihrer eigenen Geschichte erzählen. Dabei unterscheidet der Sammelband zwischen der zweiten und dritten Generation – also zwischen den sogenannten „Kriegskindern“ und den „Kriegsenkeln“. Es lassen sich, so von Wrochem, Unterschiede feststellen: Während die Kinder von NS-TäterInnen ihre Geschichte oft ausklammerten und sich nicht mit ihr auseinandersetzten, sind die Enkel meist politisierter und beleuchten ihre familiäre Vergangenheit kritisch. Dennoch stelle es bis heute ein Tabu dar, sich als Nachkomme von NS-TäterInnen mit der eigenen Geschichte zu befassen, erzählte von Wrochem.

Ein Ringen mit der eigenen Familiengeschichte

Die Islamwissenschaftlerin Alexandra Senfft las anschließend aus ihrem neuen Buch „Der lange Schatten der Täter. Nachkommen stellen sich ihrer NS-Geschichte“. Ihr Großvater, Hanns Ludin, war als Repräsentant des Deutschen Reiches in der Slowakei. Nach Kriegsende wurde er für seine Verbrechen verurteilt und gehängt, da er maßgeblich an der Deportation slowakischer Juden beteiligt war.  Senfft trug eine sehr persönliche Passage des Buches vor: Bei einem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Ausschwitz entdeckte sie auf einem Foto ihren Großvater. Zwar setzt sie sich seit Jahren mit seinen Verbrechen auseinander, jedoch beschrieb sie einen sehr emotionalen Moment: „In mir bäumte sich alles auf. Selbst in Ausschwitz treffe ich auf meinen Großvater. Dieser Mann, den ich nie kennenlernen konnte, weil er sich in der NS-Zeit schuldig machte“.

Mehr Infos zum NS-Dokumentationszentrum und zum Rahmenprogramm der Sonderausstellung „Jugend im Gleichschritt!? Die Hitlerjugend zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ finden Sie hier.

Mareike Gröneweg

Ein Kommentar

  1. Das ist ein spannendes Thema. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sich diese Ereignisse in die DNA der betroffenen Familien eingeschrieben hat. Und dass es über Generationen hinweg weiterwirkt. Verdrängen ist mit Sicherheit die schlechteste Wahl, was den Umgang damit angeht. Toll, wenn vorgelebt wird, wie man sich damit auseinandersetzen sollte!

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