Warum betitelt der Künstler Robert Kraiss seine aktuelle Ausstellung in der artothek mit dem Titel Diana und Aktaion, fragt mich die freundliche Frau, die neben mir steht. Ich weiß es auch nicht – später, da erfahren wir ein wenig mehr. Am nächsten Tag ergänze ich diese Informationen, indem ich im Internet recherchiere.

Ich finde die von Ovid in den Metamorphosen nacherzählte, aus der griechischen Antike überlieferte Geschichte, vom Jäger Aktaion und von Diana, der Göttin der Jagd und Hüterin der weiblichen Keuschheit. Diana, beim gemeinsamen Bad mit ihren Nymphen, wird von Aktaion dort überrascht, so dass er die nackte Göttin zu sehen bekommt. Dieser gewaltige Tabubruch verlangt nach Bestrafung. Diana vollzieht die Strafe und verwandelt den Menschen Aktaion in ein Tier, in einen Hirsch, der dann, welch ein Gemetzel, von seinen eigenen Hunden gejagt, getötet und verschlungen wird.
Wo finde ich die Verbindung zur Ausstellung, ohne ambitionierte Erklärungsversuche, eine Verbindung, die der Titel als Leitschnur nahelegt?
Ich wage meinen persönlichen Zugang: ich suche nach einem Tabubruch und nach einer Grenzüberschreitung. Sehr ungewöhnlich wirkt auf mich, dass der Künstler ganz normale, herkömmliche Buntstifte für seine großformatigen Bilder verwendet. Aber nicht nur dass Robert Kraiss Buntstifte benutzt, der Künstler toppt das Ganze noch, indem er die Farbsubstanz der Buntstifte mit einer ganz besonderen Technik auf die Leinwand aufbringt (das ist jetzt nicht erfunden!): ein elektrischer Bohrer, in den er mehrere Buntstifte einschraubt, ist sein Werkzeug. Ich stelle mir vor, wie sich diese Maschine mit 3-5 Buntstiften über die Leinwand rotierend hermacht, die Leinwand farblich anbohrt und massierend darauf diese Farbspuren hinterlässt.

Die solchermaßen erzeugten, abstrakten Bilder, ohne „narrative Bezüge“, erzählen keine Geschichte. Ja, sie wirken eher wie ein Zeugnis, eines, vom Angriff des Farbbohrers auf eine weiße Leinwand, und mir scheint es, vom Vergnügen des Künstlers, hier Farbflächen zu kreieren. Der Untergrund hat bisweilen leichte Blessuren abbekommen.
Die Farboberfläche erweckt an vielen Stellen den Anschein von etwas Textilem, wirkt optisch wie Stoff. ANFASSEN möchte ich die Leinwand, überprüfen, wie sich das, was ich da ansehe nun anfühlt. Aber das, so weiß man ja, ist meist nicht erwünscht, es zu tun, ein Tabubruch. Die gezeigte Kunst verlangt aus Sicht der Künstler in erster Linie nach Ansehen. Ich stoppe also meinen Impuls. Geht es dem Künstler um diesen Moment, geht es um Verführung des Betrachters zur Wahrnehmung, weit gefasst? Für mich geht Heiterkeit von den Bildern aus, so, als strahlte eine kindliche, nahezu unschuldige Sonne durch sie hindurch. Meine Schaulust findet zufrieden Objekte, ohne Schuld und Scham.

Am besten, Sie schauen selbst. Und wer vom Künstler direkt etwas zur Ausstellung erfahren möchte, der hat dazu die Gelegenheit im Künstlergespräch, am Mittwoch, den 03.06.2015 um 19:30 h (artothek – Raum für junge Kunst, Am Hof 50, 50667 Köln).
Susanne Kieselstein