Gender. Identität. Museum

Gestern haben wir eine äußerst interessante und anregende Multiplikatoren-Fortbildung zu einem hochspannenden Thema erlebt. Eine Gruppe von Lehrerinnen traf sich mit Karin Rottmann und mir, um sich über Methoden zur Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen in der Kunstvermittlung zu unterhalten. Wie so oft in unseren Fortbildungen kamen die Teilnehmerinnen aus ganz unterschiedlichen Schulformen und Institutionen. Und gerade das führt – das durften wir wieder einmal erfahren – zu einem äußerst fruchtbaren Austausch. Denn die Vielfalt der unterschiedlichen Bedürfnisse für die verschiedenen Zielgruppen bringt auch immer sehr viel Dynamik in die Diskussion.

Für die eine ist das Thema „Menschenbild“ aus dem Zentralabitur bestimmend für das Interesse, die andere sieht in der Funktion von Kunst als „Stellvertreter“ für Identitätsprozesse besonders da einen Vorteil, wo schwierige Vermittlungssituationen bei pubertierenden Jugendlichen eine Rolle spielen können. Wieder andere haben mit ihren Förder- oder Integrationsklassen ein zusätzliches Interesse an sprachdidaktischen und interkulturell einsetzbaren Methoden. Schon bei der Vorstellungsrunde gab es lebhaften und anregenden Austausch.

 Aufwärmrunde und Bildhauerspiel zu „Two Elvis“ von Andy Warhol

Gleich die Einstiegsübung brachte einen wunderbaren Impuls für die Konzentration auf das Thema. Wir waren uns schnell einig, dass das bloße Referieren von methodischen Ansätzen wohl niemandem nachhaltige Erkenntnisse gebracht hätte und so stieg die gesamte Gruppe in die Aufwärmübung ein, die wir vor dem Bild „Two Elvis“ von Andy Warhol unternahmen.

Elvis goes Pop 1
Auseinandersetzung mit Andy Warhol (Foto: Karin Rottmann, Museumsdienst Köln)

Der Künstler hat sich mit dem Klischee des männlichen Stars, seiner Präsenz in den Medien und auch der Frage männlichen Posings auseinandergesetzt. Ein hervorragender Impuls für unser Thema. Alle Teilnehmer stellen sich im Kreis auf und nun ging es darum, reihum mittels einfachen Klatschens vom einen auf den nächsten zu zeigen. Das ließ man einmal im Kreis laufen und später quer durch die Gruppe austauschen. Man musste sich sehr konzentrieren, den anderen bewusst fixieren und schnell reagieren. Das brachte den gruppendynamischen Prozesse sofort in Gang. Im Sinne unseres Themas wandelten wir die Methode jedoch ab, indem wir jeder Teilnehmerin eine Karte in die Hand gaben, die auf der einen Seite mit dem Weiblichkeits- und auf der anderen Seite mit dem Männlichkeitssymbol versehen war. Aufgabe war es nun, jeweils ein Symbol in Richtung einer Gruppenteilnehmerin zu zeigen. Die das dann aufgreifen und mit entsprechend einer männlichen oder einer weiblichen Geste beantworten.

Bildhauerspiel 2
Beispiel für das „Bildhauerspiel“ im Museum Ludwig (Foto: Museumsdienst Köln)

Um sich weiter mit dem Wesen einer rollenspezifischen Gestik auseinanderzusetzen, brachte uns das „Bildhauer-Spiel“ weitere Grundlagen. Eine Teilnehmerin wurde zur „Bildhauerin“ und hatte die Aufgabe, eine weitere Mitspielerin als „Material“ so zu formen, bis sie genau die Pose des dargestellten Stars auf dem Warhol-Bild einnahm. Hier ging es darum, genau zu beobachten, jede kleinste körpersprachliche Regung des Vorbilds zu studieren, um sie dann entsprechend umzusetzen. Für den Rest der Gruppe gab es ebenfalls eine Aufgabe: Sie mussten die „Bildhauerin“ unterstützen und im Bedarfsfall korrigieren. Sehr schnell kam man dann gemeinsam auf die Bruchstelle der Repräsentation dieses männlichen Westernhelden. Elvis verkörpert ihn nämlich mit der für ihn typischen Tanzhaltung und nicht in der Tradition eines John Wayne.

Bewegungsverben und Rollenbiographie zu „Nana“ von Niki de SaintPhalle

Bei der nächsten Station unserer Fortbildung führten wir sprachdidaktische Aspekte ein. Paarweise bekamen die Teilnehmerinnen die Aufgabe aus einer Liste von Bewegungsverben jene herauszufiltern, die typisch weiblich sind. Den entsprechenden Impuls durch die Kunst erhielten sie von Niki de Saint Phalles „Nana„. Der weiblichen Urmutter, die mit ihrer Flower Power tänzelnd auf einem Bein die Balance hält. Die Idee hinter den Bewegungsverben verfolgt zwei unterschiedliche Ansätze. Zum einen entlehnen wir aus der Theaterpädagogik einen Teilaspekt der Rollenbiographie. Dort wird eine Figur für die Bühne greifbar gemacht, indem der Schauspieler sich unter anderem überlegt, welchen Gang sie haben könnte. So nähert man sich dem Wesen dieser Figur – eine hervorragende Methode, sich auf diese Weise auch das Wesen einer Skulptur lebendig vorzustellen.

Gleichzeitig erreicht man über das Wortfeld „Gehen“ eine Erweiterung des sprachlichen Horizonts. Dies gilt auch und besonders im Hinblick auf Fremdsprachen- oder DaZ-Unterricht.

Bewegungsverben
Liste von Bewegungsverben (Foto: Museumsdienst Köln)

Rollenbiographie

Rollenbiographie Beispielfragen

Drehbuch schreiben zu „Bath tub“ von Tom Wesselmann

Die Szene einer Frau unter der Dusche von Tom Wesselman ist als Assamblage mit objets trouvées wiedergegeben. Wesselman spielt hier bewusst auf kompositorisch ähnliche Filmszenen an. Und so eignet sich dieses Kunstwerk hervorragend zu Schreibübungen, die zu einem Drehbuch führen sollen. Dazu müssen die Teilnehmer sich weitere Akteure aus der Sammlung des Museums suchen. In der Pop Art ist dies ein leichtes Spiel. Und so geraten der Künstler J. F. Kennedy, seine Witwe und ein Schwerverbrecher schnell zu Protagonisten verschiedener Geschichten, die von Komödie über Krimi bis zur kitschigen Soap reichen können. Die unterschiedlichen Textformen wie Dialog, Regieanweisungen, Beschreibungen von Szenenbild, Licht und der Schauspieler – all das trainiert hervorragend unterschiedliche Textanforderungen. Und nicht zuletzt wird der Vortrag mit einer Präsentation eingeübt.

Drehbuch

Kamishibai und Kreatives Schreiben zu Franz Gertzsch „Marina schminkt Luciano“

Uns war schon angesichts der Fülle von Kunstwerken, die man zur Beschäftigung mit dem Genderthema hervorragend einsetzen kann, die Einsicht gekommen, zukünftig stärker einen inhaltlichen Fokus in den buchbaren Programmen darauf zu legen. Und unsere Lehrerfortbildungen funktionieren immer so wunderbar als Labor für die Entwicklung neuer Programme. Die direkte Rückmeldung aus einer unmittelbaren Zielgruppe ist äußerst wertvoll. Und so konnten wir auch allesamt wieder eine Sternstunde der Kunstvermittlung erleben.

Gertsch, Franz, Marina schminkt Luciano, Malerei nach Photographie, Acryl & Baumwolle (Foto: © Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_d000179)
Franz Gertsch: Marina schminkt Luciano, Köln, Museum Ludwig (Foto: RBA Köln)

Als wir uns mit dem fotorealistischen Bild „Marina schminkt Luciano“ beschäftigten, zeigte sich ein perfekter Moment der Museumspädagogik. Eine kreative Schreibaufgabe nach Eugen Gomringers Gedicht „Vielleicht“; das Thema „Geschlechteridentität“, das ja vom Künstler hier deutlich thematisiert wird; die Faszination fotorealistischer Repräsentation vor allem bei Schülerinnen und Schülern.

Alles zusammen ergibt die perfekte Mischung von passender Methode und themenspezifischer Ausrichtung. Plus Erlebnis eines kreativen Funken. Durch das Einfügen von Leerstellen im Gedicht von Eugen Gomringer entsteht ein hervorragender Impuls für die Beschäftigung mit dem Bild und der Ambivalenz, die dort thematisiert wird.

Hier zunächst Gomringers Original:

vielleicht

vielleicht baum
baum vielleicht

vielleicht vogel
vogel vielleicht

vielleicht frühling
frühling vielleicht

vielleicht worte
worte vielleicht

Und hier Ergebnisse zu dem Werk von Franz Gertsch:

1)

vielleicht ein mann
eine frau vielleicht

vielleicht theater
karneval vielleicht

vielleicht liebe
liebe vielleicht

vielleicht freundschaft
freunde vielleicht

2)

vielleicht weiblich
frau vielleicht

vielleicht männlich
männlich vielleicht

vielleicht beides
zwitter vielleicht

vielleicht liebe
love bestimmt

3)

vielleicht schön
schön vielleicht

vielleicht billig
billig vielleicht

vielleicht farbe
heiterkeit vielleicht

Eine weitere Methode zur Beschäftigung mit diesem gehaltvollen Bild fanden wir im Kamishibai. Dies ist ein Verfahren auf der Grundlage des japanischen Papiertheaters, mit dem Geschichten ausgeschmückt werden können. Zwei Gruppen werden unterschiedliche Vorgaben zur Erarbeitung der Inhalte erteilt: eine Gruppe entwickelt das, was einen Tag vorher geschah, eine weitere, was fünf Minuten vorher geschah. Die beiden restlichen Gruppen müssen entsprechend erarbeiten, was fünf Minuten später bzw. einen Tag später geschieht. Nachdem alle Gruppen ihre Inhalte mit einfachen Zeichnungen skizziert haben, wird einer aus der Gruppe bestimmt, der für die anderen die Geschichte erzählen soll. Dabei sollen sie sich immer wieder auf das Bild beziehen und sich die Figuren genau anschauen, sich in sie hineindenken, alle Informationen aus dem Bild mit einbeziehen. Auf diese Weise kann das Sprechen trainiert werden. Mit Unterstützung der Gruppe und der Anreize durch das Kunstwerk auch in einer fremden Sprache.

Gegensatzpaare zu „La nuit espagnole“ von Francis Picabia

Zum Schluss unserer Runde durch das Museum trafen wir noch auf die emotional aufgeladene Darstellung eines Paares, welche sämtliche Aspekte der Beziehung zwischen Mann und Frau aufzuweisen scheint, die seit Jahrhunderten die Menschen beschäftigen. Auch hier ließ sich mit einer gezielten Wortfeldarbeit in Gegensatzpaaren nicht nur ein Erkenntnisgewinn für die Geschlechterrollen erzeugen, sondern auch erneut das Training sprachlicher Kompetenzen motivieren.

Picabia, Francis, La nuit espagnole, Ripolin & Leinwand, 1922 (Köln, Museum Ludwig, ML 01299.  (Foto: © Rheinisches Bildarchiv Köln, Buchen, Helmut, rba_d000106)
Francis Picabia: Die spanische Nacht, 1922, Köln, Museum Ludwig (Foto: RBA Köln)

schwarz/weiß –  Verführung/Abwehr – aktiv/passiv – Opfer/Täter – Mann/Frau – offen/geschlossen – innen/außen … usw.

Anke von Heyl

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