„Die Frau von Peter Ludwig sieht glücklich aus!“

 

Es gibt Zuschauer in einem Theater, alle trinken sie Wein, die Leute sind mit sich beschäftigt, die Frau von Peter Ludwig sieht glücklich aus. Diese und weitere Beobachtungen machte zuletzt eine Gruppe junger Erwachsener im Museum Ludwig, während dem dreitägigen Workshop „Deutschlandsaga“, der Ende September stattfand und in dessen Fokus Jörg Immendorfs Werk „Lehmbruck Saga“ stand. Natürlich hat die Gruppe auch die anderen Details auf dem Werk bemerkt. Etwa, dass da eine Steinskulptur in ein offenes Feuer auf der Bühne gehoben wird oder dass ein LKW, der von einem Adler geführt wird, ebenfalls auf der Bühne eine zähfließende braune Konsistenz entleert.

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Die Gruppe mit Schauspieler Omar El-Saeidi vor Jörg Immendorfs Gemälde „Lehmbruck Saga“

Wer das Werk kennt, weiß, dass Immendorff darin das Verhältnis zwischen der deutschen nationalsozialistischen Vergangenheit und den auf dem Werk abgebildeten Akteuren der Kunstszene des 20. Jahrhunderts auslotet. Für die meisten deutschen Erwachsenen ist die nationalsozialistische Geschichte kein unbekanntes Thema. Für den Großteil dieser Gruppe jedoch schon: Denn die 16 Frauen und Männer im Alter von 19-28 Jahren sind geflüchtete Menschen und Immendorffs Werk deshalb ein interessantes und neuartiges Sujet für sie.

Das erste Mal im Museum

Viele kommen aus Syrien oder etwa aus dem Iran, dem Irak, Afghanistan oder Eritrea. Einige von ihnen haben noch nie zuvor ein Museum besucht oder sich jemals mit Kunst auseinandergesetzt. Aber alle sind sie gespannt darauf, was es im Museum Ludwig zu entdecken gibt. Schließlich sind es Freiwillige aus dem Sprachhaus Köln. Gemeinsam mit ihrem Lehrer Vasili Bachtsevanidis wollen sie nicht nur ihr Deutsch verbessern, sondern gleichzeitig auch die deutsche Kultur und Geschichte kennenlernen. Und dies funktioniert besonders gut in dem außerschulischen Lernort Museum. Davon ist Karin Rottmann, Museumspädagogin und Ideenstifterin des Projekts, fest überzeugt.

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Schreibübung im Museum Ludwig

Gemeinsam mit dem Schauspieler Omar El-Saeidi, der den Workshop moderiert, hat sie ein Konzept entwickelt, bei dem auf spielerische Weise das Deutschlernen, Aspekte deutscher Kultur und Geschichte sowie theaterpädagogische Übungen, die ein sicheres Auftreten und Sprechen fördern, verknüpft werden. Weil dies ein neuartiger Ansatz ist und das Agieren vor der Kamera eine zusätzliche Übungsmöglichkeit bereithält, hält Sascha Vredenburg, Absolvent der Ludwigsburger Film-Akademie, den Workshop filmisch fest.

„Wisst ihr, was entartet bedeutet?“

Natürlich wird ausführlich über Immendorffs Bild gesprochen und diskutiert. Warum nur schauen die Zuschauer so gelangweilt auf die Bühne? Interessiert sie etwa nicht, was dort passiert? Auch Vergleiche zu nonpolitikkonformen syrischen Künstlern werden hergestellt. Wie sich zeigt, hat das Kölner Werk höchste Brisanz und eignet sich deshalb in vielerlei Hinsicht für den Workshop. Aber auch praktische Aufgaben kommen nicht zu kurz. „Die deutsche Sprache, ist eine Sprache, die vor allem im vorderen Bereich des Mundes stattfindet“, erklärt Omar El-Saeidi und betont dabei vor allem die Wichtigkeit der Zunge. Um diese zu lockern und das Sprechen so zu vereinfachen, zeigte El-Saeidi Tricks aus seinem Schauspieleralltag. In einem ersten Schritt soll die Zunge kreisförmig im Mund bewegt werden. Obwohl sich alle sehr anstrengen, birgt diese Übung doch ungeahnte Tücken. Denn die entstehenden Grimassen sehen viel zu lustig aus, wie die Zunge von innen die Wangen und Lippen auf komische Art nach außen beult. Schnell gewinnen deshalb Lachen und Gekicher die Oberhand. Als die Teilnehmer dann auch noch mit dem Oberkörper nach vorn gebeugt in ein imaginäres Wasserbecken, in welches sie mit leichtem Kopfschütteln verschiedene Töne wie „Uuuh, äääh, iiih“, hineinsprechen sollen, muss sich sogar ein Teilnehmer kleine Lachtränen aus den Augen wischen. Letztlich können sich die Ergebnisse aber hören lassen. Im Wahrsten Sinne des Wortes. Die zuvor von den Sprachschülern zu Immendorffs Werk erstellten Avenida-Gedichte können sie nun viel freier, lauter und um einiges verständlicher vortragen

„Es ist unser Recht im Museum, die Bilder neu zu interpretieren.“

Obwohl die Teilnehmer in der Reflexionsrunde am Ende vorrangig positiv erwähnen, wie viele neue deutsche Worte sie gelernt haben, nehmen sie doch einiges mehr mit. Nämlich, dass der außerschulische Lernort »Museum« als Raum sowohl für den interkulturellen Dialog als auch des Diskurses fungieren kann. Bei Tom Wesselmann „Bathtub No. 3“ etwa entsteht eine rege Diskussion drüber, ob Frauen nackt gezeigt werden müssen. Aber auch das wird letztlich positiv erwähnt: Das Museum ist auch ein Ort des Kompromiss und lässt uns als Betrachter über verschiedene Begebenheiten und aus unterschiedlichen Blickwinkeln nachdenken. Und währenddessen bleibt es jederzeit ein interessanter Ort des Spracherwerbs. Schließlich lernt man im Museum wirkungsvoll über Kunst zu sprechen und dass ist für die Museumspädogin Karin Rottmann letztlich ein zentrales Ziel. Mit Hilfe der vielen kleinen Schreib- und Sprechaufgaben sowie den oft lustigen und hilfreichen theaterpädagogischen Übungen, war das am Ende des Workshops für die Teilnehmenden ein Einfaches.

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Workshop-Teilnehmer komponieren ein Gedicht zur „Lehmbruck Saga“

 

Der Film und die Ergebnisse des Workshops, wie der außerschulische Lernort Museum gerade im Hinblick auf Flüchtlinge interessant sein kann, werden auf der Tagung des Museumsdiensts Köln „Zwischen den Welten. Museen im Angesicht von Flucht und transkulturellem Dialog“ am 23. und 24. Oktober im Stiftersaal des Walraff-Richartz-Museums in Köln präsentiert.

Carolin Ayasse

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