Im Rahmen meines museumspädagogischen Praktikums beim Museumsdienst Köln konnte ich das ganze Spektrum der musealen Vermittlung kennen lernen. Eine besonders interessante Erfahrung war die Führung für demenziell veränderte Menschen im Museum Ludwig, geleitet von Jochen Schmauck-Langer von dementia+art.
Wie muss man sich eine Führung für Menschen mit Demenz eigentlich vorstellen? Was hat es für einen Zweck, Informationen zu Kunstwerken zu erhalten, wenn das Kurzzeitgedächtnis nicht mehr richtig arbeitet? Und können sich Demenzkranke überhaupt so lange konzentrieren? Mit diesen Fragen im Hinterkopf begegnete ich im Museum Ludwig Jochen Schmauck-Langer und fünf demenziell veränderten Damen – zwei im Rollstuhl, zwei mit Rollator und eine mit Museumsstühlchen – begleitet von drei Pflegepersonen.
Bereits nach den ersten paar Minuten waren meine Vorbehalte größtenteils beseitigt: Die Führung war ganz genau auf die Bedürfnisse der demenziell veränderten Menschen zugeschnitten! Entscheidend dabei ist, dass die Demenzführung nicht monologisch, sondern dialogisch gestaltet ist. Das bedeutet, dass die Teilnehmer behutsam mit Fragen zu den Kunstwerken konfrontiert und zugleich ermuntert werden, ihre Eindrücke und Gedanken mitzuteilen. Schnell wurde mir klar: Hier geht es nicht darum, kunsthistorische Zusammenhänge und kulturelle Entwicklungen zu begreifen, sondern um die sinnliche, emotionale und soziale Komponente der Kunstrezeption. Die Sinne der demenziell veränderten Menschen wurden zusätzlich durch zu den Bildern passende Musik angesprochen.

Welch starke Empfindungen und Erinnerungen Kunstwerke bei Menschen mit Demenz evozieren können, erfuhr ich bei der Betrachtung der „Jungen Spanierin“ von George Grosz aus dem Jahr 1927. Kaum bei dem Gemälde angekommen, begann eine der Damen sofort zu erzählen: „Das könnte ich sein! Ich sah als junges Mädchen ganz genau so aus! Und so einen Schmollmund machte ich immer, wenn ich meine Milch nicht kriegte! Ich hatte auch genau so pechschwarze Haare und so eine Schürze! Aber die Schürze wollte ich nicht anziehen, weil die anderen Kinder keine tragen mussten. Die Mutter hat aber immer gesagt: ‚Und du ziehst die Schürze an!‘“ Gleich darauf wurde der Gesichtsausdruck der jungen Spanierin zum Thema, denn jemand warf ein, dass das Mädchen doch gar nicht schmolle, sondern traurig sei. „Nein, sie ist enttäuscht!“, bemerkte jemand anderes. Jochen Schmauck-Langer hakte nach und wollte wissen, warum das Mädchen diesen Gesichtsausdruck habe. „Na, weil sie immer allein den Abwasch machen muss und ihr Bruder nie!“ lautete ein Vorschlag, welcher bei den Damen auf allgemeine Zustimmung stieß. Es entwickelte sich eine lebhafte Diskussion unter den Damen! Vor allem die Begeisterung und der Witz, mit denen die Gedanken und Erinnerungen zum Besten gebracht wurden, beindruckten mich.
Das Ziel einer Führung für demenziell veränderte Menschen ist also, dass die Teilnehmenden auf eine schöne Zeit im Museum zurück blicken können, in der sie Kunst so genießen konnten, wie sie es vermögen. Meiner Meinung nach ist dies ein durchaus legitimer Anspruch, denn Kunst ist mehr als nur der Gegenstand einer Wissenschaft und der Museumsbesuch stellt auch ein emotionales und soziales Erlebnis dar.
Vanessa Cosima Elektra Vogler