Im Museum das Mittelalter erleben (2)

Teil 2 der „Praktischen Übung“ für die Studierenden der Geschichtsdidaktik an der Ruhr-Universität Bochum Teil 1 ist hier) fand im Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud statt. Sicherlich ist es ungewöhnlich, die Übung in einem Kunst- und nicht in einem historischen Museum zu veranstalten, wie beispielsweise im Kölnischen Stadtmuseum. In unserer Veranstaltung wollten wir diskutieren, wie in einem Kunstmuseum das Mittelalter „lebendig“ gemacht werden kann. Als erste Aufgabe sollten die Studierenden in der Mittelalterabteilung ein Museumsgraffiti zum Thema legen.

Zunächst fiel es allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern schwer, die Aufgabe zu bearbeiten. Die Gruppen äußerten angesichts der als Übermacht erlebten Präsenz der religiösen Themen, dass sie kaum noch Kenntnisse über die gezeigten Motive hätten. Außerdem wurde die Grausamkeit der Bilderwelt wahrgenommen. Ein Student sagte, dass man mit wenigen Worten auskommen könnte: Die Wörter Leid, Folter, Tod könnte man unter die meisten Kunstwerke legen. Für viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer war erschreckend, wie dominant die Themen erschienen. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten wurde dann aber doch noch das Leben neben der christlichen Thematik gefunden. In kleinen Details versteckten sich arbeitende Menschen auf dem Feld, die Köchin am Ofen, aber auch Figuren in kostbaren Roben, idyllische Gärten, der Blick in eine Wohnstube, ein gedeckter Tisch …

Lochner, Stefan, Triptychon / Klappaltärchen, Eichenholz, 1445/1450 (Köln, Wallraf-Richartz-Museum + Fondation Corboud, WRM 0070.  (Foto: © Rheinisches Bildarchiv Köln, Mennicken, Marion, rba_c018366)
Stefan Lochner und Werkstatt: Triptychon / Klappaltärchen, 1445/1450, Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud (Foto: RBA Köln)

Der gemeinsame Rundgang, der die Entdeckungen in den Seminarkontext stellte, brachte eine erste Grundlage: Der Garten, der auf mehreren Gemälden des Mittelalters gefunden wurde, konnte als Paradiesgarten erklärt werden, der oft als begrenztes Rasenstück dargestellt wird und deshalb als „hortus conclusus“ bezeichnet wird. Dort fanden die Studierenden dann auch viele Pflanzen, die symbolische Bedeutung haben: zum Beispiel das dreiblättrige Laub der Erdbeerpflanze als Hinweis auf die Dreifaltigkeit. Wieder stellten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer fest, wie allgegenwärtig und bestimmend die Religion im Denken der Zeitgenossen gewesen sein muss.

Diese Feststellungen waren sehr interessant, denn sie sensibilisierten auf empathische Weise die angehenden Historikerinnen und Historiker für die vergangenen Lebenswelten. Museen sind Orte des entdeckenden Lernens und der Kommunikation. Die Vermittlungsarbeit liefert Methoden zur selbständigen Erkundung des Museums und weckt die Neugierde. Die Förderung der Wahrnehmungsfähigkeit und „Ausdeutung des Gefundenen“ stehen im Vordergrund der Arbeit.

In der Übung schloss sich eine genauere Beschäftigung mit dem Gemälde der Stadtpatrone des Meisters der Verherrlichung Mariä an. Der Altarflügel wurde ausgewählt, weil er eine topografisch genaue Darstellung der Stadt Köln zeigt. Die Studierenden hatten den Auftrag, ein Mittelalter-ABC zum Kunstwerk anzulegen. Es entstand eine enorme Stichwortsammlung, die zu kurzen Sachtexten inspirierte. Dazu wurde den Gruppen ein Reader mit den nötigen Informationen zu den Stichwörtern zur Verfügung gestellt.

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Meister des Bartholomäus-Altares (tätig in den Niederlanden um 1475 – 1510): Thomas-Altar, um 1495–1500, Köln. Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud (Foto: RBA Köln)

Danach wurde es noch einmal „spannend“, denn das neu gewonnene Wissen über das Mittelalter sollte in einer fiktiven Geschichte verarbeitet werden. Protagonistin dieser Geschichte sollte die naturalistisch genaue Darstellung einer Fliege auf dem Thomas-Altar sein. In mehreren Episoden sollte die Fliege erzählen, wie sie auf das Bild gekommen ist: sie fliegt über den Markt, begutachtet dort das Warenangebot, erlebt, wie ein Betrüger bestraft wird, beobachtet, wie der Meister des Bartholomäus- Altars mit seinem Auftraggeber über die Einzelheiten für den Altar verhandelt, begleitet den Meister auf dem Weg durch die Stadt und erlebt im Wohnhaus des Meisters, wie das Mittagessen zubereitet wird.

Thomasaltar Detail
Meister des Bartholomäusaltars: Detail mit Fliege aus dem sog. „Thomasaltar“, um 1495-1500, Wallraf-Richartz-Museum (Foto: RBA Köln)

Diese Aufgabe machte den Studierenden viel Spaß und zeigte, wie viel man über die historischen Aspekte wissen muss, um die fiktiven Episoden schreiben zu können.

Wir stellten fest, dass Kunstmuseen durchaus interessant für den Geschichtsunterricht sind, denn sie machen „anders als in Geschichtsmuseen“ den Überbau einer Epoche deutlich und eröffnen einen emotionalen Zugang.

Karin Rottmann

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