We the People. Eine Performance um Kunst und Menschenwürde

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Danh Võ: The Armpit. Ydob eht ni mraw si ti, Ausstellungszeitraum 1. August – 25. Oktober, Museum Ludwig, Köln (Foto: RBA Köln)

Schauplatz Museum Ludwig: 20 Schüler/innen der IFS des HMG präsentieren vor Publikum und Presse ihre Performance zu Danh Võs Werk „We The People“.

Der in Berlin lebende vietnamesische Konzeptkünstler Danh Võ ist weltbekannt für seine provozierenden Werke. Im Kölner Museum Ludwig hat er eines der eindrucksvollsten Objekte seines in 250 Teile zerlegten und in alle Welt verstreuten originalgetreuen Nachbaus der amerikanischen Freiheitsstatue positioniert: The Armpit (die Achsel). Das über 6 Meter hohe Ausstellungsobjekt – das Verbindungsstück zwischen dem Corpus der Freiheitsstatue und dem die Fackel empor reckenden Arm – wird im großen Ausstellungssaal des Museum Ludwig gestützt durch grobe Holzbalken und Keile. Auf der Rückseite halten Baugerüste das Objekt. Ist das Freiheitsversprechen der „neuen Welt“ denn so verletzlich, dass es zusammenbrechen könnte? Ist es auch das, was der Künstler dem Betrachter sagen möchte? Trau dem Schein nicht unbedingt, hinterfrage die Hochwertideale. Sind sie wirklich tragfähig?

Danh Võ ist als damals vierjähriges Kind mit seinen Eltern 1979 aus Vietnam gekommen. Zusammen mit 20.000 „Boatpeople“ geflohen aus einem Unterdrückungssystem nahmen sie das Misslingen der Flucht, den Untergang in einem unendlich weiten und tiefen Meer (auch der Unmenschlichkeit) in Kauf, alles für die eigene Freiheit und für das Recht auf selbstbestimmtes Leben wagend, auch den Tod. Die Schüler der IFS haben in ihrer zweiwöchigen Annäherung an das Kunstwerk zunächst rein positive Werte mit der Freiheitsstatue assoziiert: Gleichheit, Solidarität, Freundschaft und Toleranz. Das entspricht weltweit der Sehnsucht von Menschen auf ihrem Weg der Flucht oder der Migration in eine neue Welt, eine neue Heimat. Von diesen Werten geprägt möge das neue Leben, möge die persönliche Zukunft sein!

Und doch gibt es auch Zweifel, Gegenteilserfahrungen, Unsicherheiten und traumatisierende Extremsituationen im Leben von Migranten und Flüchtlingen. Auch diese sollten in der Performance der IFS Ausdruck finden: Die Poesie von Eugen Gromringer, insbesondere sein konkretes Gedicht „Vielleicht“, halfen dabei. So entstand für die Performance die eindrucksvolle Szene einer Menschenschlange von Aufnahmesuchenden, aus der heraus sich jeder Einzelne der Entscheidung einer amtlichen Instanz stellen muss. Darf er bleiben oder wird er aussortiert werden und muss wieder gehen? Wird er mit seinen Bedürfnissen nach Asyl, Frieden, Arbeit, Glück, Gerechtigkeit und menschlichem Willkommen anerkannt oder nicht? So brutal scheint die amtliche Instanz aber gar nicht. Die Amtsperson antwortet monoton mit „vielleicht!“. „Vielleicht Arbeit! Vielleicht Glück! Vielleicht Gerechtigkeit! Vielleicht Neuanfang!“ Die Untertöne wechseln dabei sehr differenziert und spiegeln alle Facetten der Zweifel wider, die die in der neuen Welt Ankommenden empfinden müssen.

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Performance „We the People“ der IFS vom Heinrich-Mann-Gymnasium (Foto: Karin Rottmann, Museumsdienst Köln)

Die Internationale Klasse präsentierte ihre Performance zu „We The People“ vor einem fachkundigen Publikum (Museumsdirektor, Resortchefs, Leiter und Mitarbeiter des Museumsdienstes), vor Vertretern der Presse (lokale Tageszeitungen, Internetdienste, Kulturblogger), vor den Tagesgästen des Museums und vor den zur Unterstützung ins Museum gekommenen HMG-Schüler/innen der Klasse 8b (Danke! Das hat sehr gut getan, euch dabei zu haben!), vor Freunden, Lehrern und Eltern. Die Vorführung gelang eindrucksvoll, der Applaus – auch von den Vertretern der Presse gespendet ! – wollte sehr lange nicht enden, brandete immer wieder erneut auf. Die mediale Berichterstattung der folgenden Tage war von großem Lob und von echter Begeisterung geprägt.

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Die Internationale Klasse zusammen mit dem Schauspieler Omar El-Saeidi (in der Bildmitte, Michee umarmend) bei der Generalprobe zu „We The People“ im Museum Ludwig. Von links – oben: Jing Yuan, Haya, Shahrzad, Hripsime, Monika, Anastasia, Krystian, Michée, Omar, Dan, Marshall, Sanaz, Iuliia, Abdullah, Karam; unten: Lona, Angela, Fahima, Tahir, Kinga, Arsham (Foto: Museumsdienst Köln)

Zu verdanken haben die Schüler/innen der IFS diesen Erfolg ihrem großen Mut und ihrem Können, aber auch der besonderen Unterstützung seitens des Museumsdienstes Köln. Im Rahmen einer mittlerweile eineinhalbjährigen Kooperation des HMG mit dem Museumsdienst hat die IFS ca. 15 Workshops in den verschiedensten Kölner Museen absolviert und so die vielfältigen Kunstrichtungen, Kunstwerke und Kunstepochen kennen gelernt. Karin Rottmann, engagierte Mitarbeiterin des Museumsdienstes Köln und zuständig für die Arbeit mit den Schulen, nutzt für jeden Workshop mit der IFS spezielle kunstpädagogische Methoden, die auch als wesentliches Element Spracharbeit einbeziehen.

Für die IFS-Performance zu „We The People“ konnte Karin Rottmann mit Hilfe der RheinEnergie-Stiftung Kultur den von Theater und TV bekannten Schauspieler Omar El-Saeidi gewinnen. Er erarbeitete mit den IFS-Schülerinnen und Schülern die Choreografie und coachte sie für den eindrucksvollen Auftritt im Museum. Im Deutschunterricht hatten die Schüler/innen ihre Texte vorher erarbeitet und diese sprachlich ausgefeilt, dort auch immer wieder den freien Vortrag, den Ausdruck, die ganzheitliche Präsentation geübt.

Bedenkt man, dass in der aktuellen IFS zwölf Schüler/innen (von zur Zeit 17) erst seit Beginn dieses Schuljahres beschult werden und die anderen erst seit wenigen Monaten mehr, so kann mit Recht insgesamt von einer wirklich sehr gut gelungenen Integration auch mittels dieses Danh Võ-Projektes gesprochen werden.

Einen Eindruck vermittelt unser Podcast:

 

Die IFS wird auch in den nächsten Wochen und Monaten weiter in Kölner Museen an Workshops des Museumsdienstes teilnehmen: in zwei Wochen zum Künstler Godefridus Schalcken im Wallraf-Richartz-Museum und in vier Wochen zur Ausstellung „LOOK! Modedesigner von A bis Z“ im Museum für Angewandte Kunst (MAK).

Abschließend noch einige Impressionen.

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Vor dem Start in die neue Welt mischen sich Abschiedsschmerz, Wut und Hoffnung der Migrierenden miteinander. Die Symbolik der Geste erinnert an das weltbekannte Pressefoto von den Boatpeople am Strand von Nordafrika. Vor Beginn ihrer Odyssee über das Mittelmeer recken die Menschen ihre Arme in die Höhe, in den Händen ihre beleuchteten Handys auf der Suche nach Netzempfang: Wanderer zwischen ihrer alten und einer neuen Welt.
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Die Amtsperson in der neuen Welt der Migranten und Geflüchteten verteilt den Zufall: „Vielleicht Gerechtigkeit! Vielleicht Arbeit! Vielleicht Glück! Vielleicht Vertrauen!“ Vielleicht aber auch das Gegenteil oder nichts von alledem. Unerträgliche Realität in der Erlebniswelt von Gestrandeten.
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Wir wollen und wir dürfen unsere Augen nicht dauerhaft verschließen vor den Nöten und den Bedürfnissen der anderen. Auch brauchen wir den Kontakt zu den anderen, um unsere innere Stabilität immer wieder aufs Neue zu finden. In der IFS ist der Zusammenhalt etwas ganz Besonderes, auch um für die Performance die Verzweiflung der Vereinzelung darstellen zu können (Foto: Museumsdienst Köln).
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Aus dem Neben- und Gegeneinander kristallisiert sich langsam das Miteinander heraus. Aus Vereinzelung und Egoismus, in der Performance als ein leise anschwellendes Summen und eine Zusammenballung von Körpern dargestellt, die gleichzeitig die Basis für das Erkennen des gemeinsamen Schicksals bilden, wird das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Akzeptanz des Anderen geboren (Foto: Museumsdienst Köln).
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Freundschaft schreibt sich nur mit anderen zusammen. Allein geschrieben hieße es vielleicht Freundlichkeit (Foto: Museumsdienst Köln)

Eine erfolgreiche Performance: Trotz aller Zweifel, Ängste, Unsicherheiten und Negativerfahrungen im Alltag von Migranten und Flüchtlingen sollen bei der IFS-Interpretation von „We The People“ die positiven Werte überwiegen: Die Begriffe Freundschaft und Solidarität werden zu starken Appellen an die Menschlichkeit und bilden die Basis für das Miteinander der Menschen in und aus aller Welt.

Morten Bierganns

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