Unsere Zukunft

Matthias Hamann: Ausblick. Zum 50-jährigen Bestehen des Museumsdienstes

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Matthias Hamann: Rede im April 2015 zum 50. Geburtstag des Museumsdienstes (Foto: Museumsdienst Köln)

Ein Jubiläum wie der 50. Geburtstag ist ein guter Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen und einen Ausblick zu geben. Wie aber kann das aussehen? Um eine zukünftige Finanzausstattung oder einen Mitarbeiterstab kann und soll es nicht gehen, ebenso wenig um eine Prognose zur Kölner Museumslandschaft in 20 Jahren. Das wäre natürlich sehr spannend, denn sowohl Akteure als auch immer wiederkehrende Leitmotive in diesem Handlungsrahmen versprechen einen spannenden Plot, vielleicht sogar einen Krimi. Nein, wenn es um einen Ausblick geht, dann am ehesten am Leitfaden des Besuchers von heute und von morgen.

 

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Ferienkurs im Museum Schnütgen (Foto: Museumsdienst Köln)

Bei der Durchsicht alter Unterlagen sind wir unlängst auf ein Bild gestoßen. Man sieht darauf einen Jungen der 1970er Jahre, der mit Feuereifer aus Ton einen kleinen Teufel formt. Das Ganze findet mit hoher Wahrscheinlichkeit im Museum Schnütgen statt, denn dort lässt sich die Teufelsfigur sammlungsspezifisch verorten, in einer der provisorischen und mobilen Werkstätten, die wir dort über Jahre hatten, bis es zu einem Neubau hier kam, mit dem sich unsere Bedingungen deutlich verbessert haben.

Die Begeisterung des Jungen springt geradezu über. Das Bild könnte noch heute so entstehen und hat eine überzeitliche Gültigkeit. Und dennoch führt es in die Irre.

Denn die Verkürzung von Museumspädagogik auf Bastelkurse für Kinder oder auf Führungen für Schulklassen greift zu kurz. Die Zielgruppen des Museumsdienstes reichen von Kindergärten bis zu Senioren, von jungen Männern, die bereits einmal im Gefängnis saßen über Auszubildende bei Ford bis zu Demenzpatienten, von VIP-Gruppen über muslimische Frauenverbände bis zu Einzelführungen für Staats- und OB-Gäste.

Sie erleben bei uns Führungen und Gespräche, mehrteilige Kurse und Diskussionen, Theaterspiele oder intensive Dialoge. Immer eine Begegnung mit Kunst oder kulturellem Erbe, und oft eine Begegnung mit sich selbst.

Denn das ist der Kern einer erfolgreichen Vermittlung: die Erfahrung, die der Besucher mit sich selbst und seinen eigenen Interessen macht, neue Facetten entdeckt und alte bestätigt sieht. Wenn diese Saite in einem Gast angeschlagen wird, dann kann sich der Erfolg einstellen. In bildungstheoretischen Zusammenhängen spricht man da von der „Lebenswelt“, die sich spiegeln muss. Ich möchte eher von der potenziellen Lebenswelt sprechen, denn unser Job ist es, dem Besucher eine Idee seiner eigenen Potenziale zu geben und ihn herauszufordern.

Diesen Job machen beim Museumsdienst 140 feste und vor allem freiberufliche Kollegen, und sie machen ihn fantastisch. Bei Wind und Wetter gewissermaßen, denn manchmal herrscht in den Sammlungen und Ausstellungen heiter Sonnenschein und manchmal Sturm. Die freiberuflichen Kolleginnen und Kollegen sind ausgewiesene Experten, doch sie werden leider nicht so entlohnt. Die Honorare, die wir zahlen können, sind gering, und es sollte auch weiterhin die Anstrengung von Verwaltung und Politik gleichermaßen sein, hier eine Verbesserung zu erreichen.

Aber zurück zum Besucher. Möchte er denn überhaupt herausgefordert werden? In den 1990er Jahren hat ein Wissenschaftler namens Heiner Treinen die These aufgestellt, ein Museumsbesuch sei eine Art kultureller Schaufensterbummel, bei dem der Besucher sich im Zustand des aktiven Dösens bewege und ab und an aufwache. Die Provokation vom „cultural window shopping“ saß tief und erzeugte eine lebhafte Diskussion. Wenn wir bei diesem Bild bleiben, dann ist es die Aufgabe des Vermittlers, eine Art „personal shopper“ des Besuchers zu sein. Kennen Sie das? Große und vor allem teure Kaufhäuser haben „personal shopper“. Sie geben den Kunden eine Orientierung und bringen ihn zu den Dingen, die ihn interessieren. Und daher sollten wir immer wieder darüber nachdenken, was unsere Kunden, also die Gäste im Museum interessiert. Das gilt für Museumsleute und Museumspädagogen gleichermaßen.

Aus Sicht des Museumsdienstes reicht es nicht, die Zielgruppen einzuteilen in Kindergärten, Grundschulen, Senioren, Touristen, Berufstätige oder andere. Denn damit wissen wir überhaupt noch nicht, was die Leute interessiert. Wir sollten wissen, aus welcher Lebenswelt sie kommen. Gehören sie einem traditionellen Milieu aus Bickendorf an oder sind sie Teil der Ehrenfelder Kreativszene? Entstammen sie der gesellschaftlichen Mitte und haben ein Reihenhaus in Longerich mit kleinem Garten für die beiden Kinder, oder sind sie Junkersdorfer Rotarier? Denn dann haben sie jeweils ein anderes Umfeld, andere Wertvorstellungen und möchten auf unterschiedliche Weise angesprochen werden.

Und sie kommen mit unterschiedlichen Motiven und Motivationen ins Museum. Eine 65jährige Dame – nennen wir sie Renate –, die als Personalerin gearbeitet hat und nun in den Ruhestand geht, kommt an einem Ferientag mit ihren Enkeln, weil sie denen etwas Gutes tun möchte, steht im Urlaub lange vor den Accademia in Florenz an, um endlich auch Michelangelos David gesehen zu haben, liebt ab und an den Besuch in Kolumba, weil das so wunderbar meditativ ist und geht mit ihrer Freundin am Dienstag in eine intensive Führung zur neuen Designausstellung im MAKK, bevor sie dann im tollen Innenhof dort Kaffee trinkt. Eine Person, vier Motive. Die amerikanische Forschung unterscheidet sogar fünf verschiedene Typen von Museumsgängern. Und wenn wir in uns hinein horchen, dann sind wir in unterschiedlichen Situationen selbst jeder dieser Typen.

Natürlich wissen wir als Vermittler nicht vorher, wer denn da nun vor uns steht. Aber es lässt sich steuern: über Tages- und Wochenzeiten, über Themen und Formulierungen. Und über Diversifizierung von Kommunikationskanälen. Deshalb unterhalten wir so viele verschiedene Broschüren und Newsletter. Der Erfolg gibt uns dabei Recht, die Zahl unserer Gäste ist deutlich angestiegen, seit wir mit verschiedensten Instrumenten heran gehen.

Und dennoch wissen wir nicht genau, wer wann warum und wohin kommt. Daher streben wir als Museumsdienst eine Intensivierung der Besucherforschung an. Doch auch ohne detaillierte Kenntnisse lassen sich Überlegungen anstellen und Prognosen treffen, wie das Publikum von morgen aussehen wird. Schon jetzt ist deutlich, dass ein klassisches Museumspublikum verschwinden wird. Zudem sind die Lebensentwürfe andere als vor 30 Jahren. Bestand eine Biographie der 1980er Jahre noch aus der klassischen Abfolge von Kindheit/Jugend, Arbeitsleben mit Familie und dem verdienten Ruhestand, so finden wir heute etwas völlig anderes.

Auf Kindheit und Jugend folgt eine lange Postadoleszenz, bevor das Gros der Bevölkerung in den westlichen Gesellschaften in die Rush Hour des Lebens gerät. Zwischen 30 und 50 heißt es: Gas geben, arbeiten, durchaus in mehreren Jobs hintereinander, vielleicht Familie gründen, vielleicht nicht. Ab etwa 50 stellt sich die Sinnfrage ein. Wofür mache ich das eigentlich alles? Und viele beschäftigen sich mit dem Ausgleich von Beruf und privat, entdecken die Langsamkeit und bewegen sich vom Beruf zur Berufung. Um den Rentenbeginn herum wird die Berufung zur Leidenschaft – ein zweites Studium, ausgiebige Reisen, Ehrenämter sorgen für eine mentale und intellektuelle Verjüngungskur. Die Familie kann aus mehreren Strukturen hintereinander bestehen. Der Begriff des Lebensabschnittspartners beleuchtet das sehr treffend. Eine erste Familie, vielleicht eine zweite, vielleicht als Patchwork. Freunde hingegen begleiten einen ein Leben lang. An verschiedenen Orten und auch in digitalen Welten.

Was heißt das für Museen und die museale Vermittlung? Zum einen, dass es immer schwieriger sein wird, die Besucher in der Mitte ihres Lebens zu bekommen, zumal für ausgedehnte, mehrteilige Angebote. Zum anderen, dass Familien zum raren Gut und damit zu einer heißumkämpften Besuchergruppe werden. Und schließlich, dass das Publikum älter werden wird. Sind unsere Schrifttafeln groß genug? Haben wir genug Sitzmöglichkeiten? Das sind nur zwei von vielen Aufgaben, die allein die Logistik an uns stellt. Zudem wird das Publikum bunter, und die vielfältige Gesellschaft unserer Städte wird die Museen besuchen wollen, aber vielleicht zu ganz anderen Themen, als wir derzeit im Angebot haben. Nachfrage also wird es geben, aber anders als heute. Und neue Trends werden unsere Gesellschaft prägen. Sie sind schon da, wie Sie an einigen Beispielen gleich merken werden, und sie werden sich verstärken.

Ein Megatrend ist die Globalisierung, mit all ihren positiven und negativen Aspekten. Das gibt den Museen einen unglaublichen Fundus für neue Inszenierungsthemen, aber auch für eine veränderte Nachfrage. Ein zweiter Trend, den ich für entscheidend halte, ist der der Authentizität. Angesichts der immer weiter um sich greifenden virtuellen Welten gibt es eine Gegenbewegung. Sie merken das am Lebensmittelangebot: regionale Produkte, nachhaltige Produktion, kleine Erzeugerbetriebe, Terroir sind Schlagworte, die für Authentizität stehen. Und diesen Trend können Museen nicht nur bedienen, sondern aktiv steuern. Nicht selten erleben wir, dass Besucher in Veranstaltungen ungläubig sagen: Ist das alles echt? Ja, ist es, und es gibt kaum Orte höherer Authentizität und höherer Glaubwürdigkeit als Museen. Ein dritter Megatrend ist die Konnektivität. Alles ist mit allem verbunden. In wenigen Jahren werden Multimediaguides die Hörknochen abgelöst haben, die derzeit noch die Audioführungen enthalten. Ein Objekt wird in vielerlei Hinsicht erfahrbar sein, Musikstücke können ein barockes Historiengemälde untermalen, während zugleich ausführlich erläutert wird, wer denn dieser Diogenes da in der Tonne ist, und wer der Herrscher vor ihm – Alexander der Große. Das eigene Smartphone wird auch im Museum zum Informationszentrum werden, mit dem man Tickets kaufen, den virtuellen Shop besuchen und natürlich den Tisch für das Dinner danach buchen kann.

Ein weiterer Trend, der die Museen betrifft, wird die Individualisierung sein. Die Zielgruppen werden schon heute immer kleiner, und jeder einzelne hat ein sehr eigenes Interessensprofil. Das wird zu einer Verbreiterung des Vermittlungsangebotes führen, aber auch zu anderen Finanzierungsmodellen, denn das ist teuer. Und schließlich wird der Trend zur Partizipation immer stärker werden. Schon jetzt merken wir eine immer höhere Bereitschaft sich einzubringen. Das gilt für Bürgerbegehren genauso wie für klassische Museumsführungen. Wenn jedoch die Museumsleute ihre Besucher nicht partizipieren lassen, dann werden sie mit ihren Objekten allein sein.

Ob wir das alles so wollen, sei dahin gestellt. Die Augen zu verschließen ist aber keine Lösung. Nehmen wir als schönes Beispiel das Fernsehprogramm. Keiner muss die dort angebotenen Sendungen akzeptieren, denn Streaming-Dienste und Onlinevideotheken stellen unendliche Möglichkeiten der Abwechslung bereit. Das „Aktive Dösen vor der Glotze“ ist er „aktiven Suche nach dem Inhalt“ gewichen. Im Analogschluss dürfte auch der museale Schaufensterbummel zu einer interessierten Suche nach den echten Dingen werden.

Im Museumsdienst haben wir in den letzten sieben Jahren vier Ziele verfolgt: Programm für Kinder und Familien, für Jugendliche, für Menschen mit Migrationshintergrund und für Senioren. Unsere diesjährige Reflexionsphase – wir werden ja 50 und treten ja nun in den Lebensabschnitt der Reflexion ein – wird uns zu weiteren Zielen führen. Und das werden die Themen Inklusion, Partizipation und lebenslanges Lernen sein.